Wer geglaubt hatte, dass mit der vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg verfügten Aufhebung der Neumarktsperrung wieder so etwas wie zumindest vorläufige Ruhe in den Streit um Osnabrücks Problemplatz gekommen ist, sieht sich getäuscht. In einer am Donnerstagnachmittag verschickten Pressemitteilung bringt FDP-Fraktionschef Dr. Thomas Thiele eine neue Möglichkeit ins Spiel, wie dem Individualverkehr der Neumarkt entzogen werden könnte.
Im Rahmen einer „Probephase“ nach § 45 (1) 6 könnte der Neumarkt erneut gesperrt werden, so Thiele. Nach Ansicht des FDP-Politikers könnte die Straßenverkehrsbehörde bestimmte Straßen sperren um zur Erforschung des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen den Verkehr lenken und den Verkehr entsprechend zu leiten.
Vorausgegangen war der Pressemitteilung der Liberalen eine von CDU Fraktionschef Fritz Brickwedde veröffentlichte Erklärung, in der dieser erklärt hatte: „Der offene Neumarkt vermeidet Umwege und Staus, führt dadurch zur Verringerung von CO2 und ist deshalb gut für den Klimaschutz“.
CDU-Fraktionschef probierte unterschiedliche Fahrtrouten aus
Diese These untermauerte der CDU-Politiker mit konkreten Zahlen, die er bei einer „Testfahrt“ ermittelt haben will. Von Wellmann in Hellern bis zur Bremer Brücke in Schinkel sei ein Testwagen außerhalb des Berufsverkehrs die Strecke über den Neumarkt, über den Wall und über die Autobahn gefahren. Über den Neumarkt seien es 5,3 km und zwölf Minuten Fahrtzeit gewesen. Über den Wall habe der PKW fünfzehn Minuten für 6,6 km benötigt. Die Fahrt über die Autobahn habe für 16,4 km achtzehn Minuten gebraucht. Allein der Umweg über die Autobahn bedeute eine Verdreifachung der Strecke. Es sei völlig eindeutig, dass mehr Kilometer auch zu mehr Emissionen von CO2 führen würden.
Die Annahme der Befürworter der Sperrung, die Autofahrer würden genervt auf die Busse umsteigen, sei pures Wunschdenken, so die CDU. Brickwedde: „Während der Zeit der Neumarktsperrung hat es weder einen Rückgang des Fahrzeugbestandes noch eine Zunahme an Bustickets gegeben.“
Nach Auskunft der Stadtwerke könne ein Zusammenhang zur Neumarktsperrung nicht hergeleitet werden. Eine faktenbasierte Diskussion sei jetzt wichtig, auch wenn es um die Umsetzung des Lüneburger Urteils gehe.
FDP will Straßen vom Individualverkehr „befreien“
Dem halten die Osnabrücker Liberalen entgegen, dass Brickweddes Testfahrten „ohne Wert“ gewesen seien. „Wenn der ehemalige Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erklärt, dass Straßen, die mit Autos, Bussen und LKW befahren werden, besser für den Umwelt- und Klimaschutz sind als vom Individualverkehr befreite Straßen, muss man sich schon wundern. Wenn dieser dann als Testperson mit seinem PKW kreuz und quer durch die Stadt fährt und daraus Fakten für die Öffnung des Neumarktes darstellt, muss man das als „postfaktisch“ werten“, kritisiert der FDP-Fraktionsvorsitzende Dr. Thomas Thiele die „Testfahrten“ des CDU-Fraktionsvorsitzenden Brickwedde.Denn gerade die Strecke sei doch für den ÖPNV zu stärken. Gerade diese Verkehre sollten für die Bewohner der Stadt vermindert werden!
Thiele weiter: „Wenn die CDU zusammen mit ihrem Oberbürgermeister die Vorschläge zur Verflüssigung des Verkehrs mit adaptiver Ampelsteuerung, Einbahnstraßenregelung auf dem Wallring, Ringbuslinie, LKW-Durchfahrtverbote und vernünftiges Baustellenmanagement endlich mal anpacken würden, wären wir bei der Reduzierung der Schadstoffbelastung ein großes Stück weiter. Stattdessen wird weiter der Autoverkehr hofiert, anstatt für Alternativen zu sorgen. Dazu gehört u.a., dass auch für diejenigen genug Platz sein muss, die darauf verzichten, mit dem Pkw in die Innenstadt zu fahren und damit aktiv dazu beitragen, Staus und Emissionen zu vermeiden. Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Fraktion Oliver Hasskamp ergänzt: „Mit der Einrichtung von Park and Ride Parkplätzen, sicheren Radfahrspuren und einem verbesserten und kostengünstigen ÖPNV-Angebot kämen wir voran. Verzichten sollten wir hingegen auf mediale Einzelaktionen. Die helfen nicht weiter.“
Thiele weiter: „Wir brauchen wissenschaftlich fundierte Berechnungen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob und wie sich einzelne Verkehrsmaßnahmen positiv auf die Schadstoff- und Stausituationen in der Innenstadt auswirken.“
„Wissenschaftlich müsste Brickwedde demnach“, so Thiele, „unser Anliegen unterstützen und mit einer Probephase nach § 45 (1) 6 StVO den Neumarkt sperren. So könnte die Straßenverkehrsbehörde bestimmte Straßen u.a. zur Erforschung des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen den Verkehr lenken und den Verkehr entsprechend leiten.
„Testpilot Brickwedde“ raten die in Osnabrück mit der Linkspartei, den Grünen, der örtlichen Sozialdemokratie, den Piraten und der UWG in einer regenbogen-bunten Koalition verbündeten Liberalen, er könne sich „als Baustellenmanager betätigen. Vielleicht wäre er da glaubhafter und erfolgreicher.“
Unsere Redaktion hatte vor Veröffentlichung dieses Artikels versucht im FDP-Fraktionsbüro und über eine private Telefonnummer von Seiten der FDP zu erfahren, ob mit Verweis auf §45 der StVO tatsächlich eine erneute Sperrung des Neumarkts angestrebt wird. Wir konnten jedoch keinen Vertreter der Liberalen erreichen.
Zwei Versuche den Neumarkt dem Individualverkehr zu entziehen sind in den vergangenen Jahren bereits vor Gericht gescheitert (siehe hier und hier).