Der renommierte französische Ökonom Jean Pisani-Ferry warnt vor der Abhängigkeit Europas von USA und China und plädiert für Investitionen in Schlüsselbranchen sowie eine gemeinsame Schuldenhaftung nach dem Modell des Corona-Wiederaufbaufonds. In einem Gespräch mit dem Wirtschaftsmagazin Capital zeigt er auf, dass Europa Gefahr läuft, den globalen Wirtschaftsspielern hinterherzuhinken.
Europa riskiert Rückständigkeit
Jean Pisani-Ferry, ein führender französischer Ökonom, sieht in der gegenwärtigen Lage Europas eine Gefahr der Marginalisierung. In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital erklärte er: “Europas Stagnation ist bereits ein schleichender Tod. Stillstand bedeutet Abstieg”. Diese Ansicht teilt Pisani-Ferry mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in dessen Wahlkampfteam er 2017 arbeitete, und mit dem ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.
Forderung nach Investitionen
Pisani-Ferry sieht in der derzeitigen EU-Politik viele verpasste Gelegenheiten, insbesondere in den Schlüsselbranchen Energieversorgung, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation. In diesem Zusammenhang plädiert er für eine gemeinsame Schuldenhaftung und Investitionen, ähnlich dem Modell des Corona-Wiederaufbaufonds.
Prioritäten setzen
Für Pisani-Ferry, der auch als einer der einflussreichsten Denker in Europa und der deutsch-französischen Beziehungen angesehen wird, sollten Investitionen in drei Hauptbereichen Priorität haben: Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben, technologische Forschung und Entwicklung sowie Klimaschutz. Nach seinen Berechnungen müssten alle EU-Mitgliedsstaaten ihre Verteidigungsausgaben um 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöhen. Inklusive der zusätzlichen Mittel für mehr Klimaschutz und Forschungsausgaben “bräuchte die EU in Summe jährlich Extramittel in Höhe von zwei BIP-Punkten, und das etwa zwanzig Jahre lang”. Das entspricht rund 300 Milliarden Euro pro Jahr.
Finanzierungsvorschlag
Zur Finanzierung schlägt Pisani-Ferry vor, dass “Die Hälfte dieser Extramittel könnte von privaten Investoren kommen. Die andere Hälfte müsste aus öffentlichen Haushalten bereitgestellt werden. Und wiederum ein Drittel davon, also etwa 0,3 Prozentpunkte der EU-Wirtschaftsleistung, sollte aus Krediten finanziert werden.” Unterm Strich spricht er von Schulden in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr. “Macht über 20 Jahre eine Billion Euro”, so Pisani-Ferry.
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