Blick auf den Osnabrücker Dom. / Foto: Guss
Seit einem Jahr studieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Akten des Bistums Osnabrück und führen Gespräche mit Beschuldigten innerhalb der Diözese. Jetzt stellten sie einen ersten Zwischenbericht zur sexualisierten Gewalt im Bistum vor – und belasten damit auch Bischof Franz-Josef Bode.
Seit Jahren werden immer wieder Rufe gegen die katholische Kirche wegen sexualisierter Gewalt laut. Auch deshalb initiierte das Bistum 2019 den sogenannten Diözesanen Schutzprozess. Im vergangenen Jahr ging das Bistum dann noch einen Schritt weiter, nahm 1,3 Millionen Euro in die Hand und beauftragte die Universität Osnabrück mit einer Studie. Das Team um Historikerin Prof. Dr. Siegrid Westphal und Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke arbeiten nun innerhalb von drei Jahren die Fälle sexualisierter Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im kirchlichen Raum im Bistum Osnabrück seit 1945 auf. Das erste Fazit fällt ernüchternd aus: „Die Rechte der Betroffenen wurden und werden bis in die jüngste Zeit oft verletzt“, sagt Schulte-Nölke. Allerdings ließen sich in den vergangenen Jahren nur noch wenige Verstöße feststellen. Anonymisiert zeigen 16 Fallbeispiele (15 Priester und ein Diakon) im Zwischenbericht, wie Bistumsleitungen sich verhalten haben, als sie von Beschuldigungen sexualisierter Gewalt Kenntnis erhielten.
Doch welche Pflichten hat das Bistum Osnabrück? Auf der einen Seite müssten sie gegen gefährliche Priester vorgehen, auf der anderen Seite Betroffenen helfen. Insbesondere letztere Pflicht sei bis heute viel zu wenig nachgegangen. „Wir haben einen Katalog entwickelt, der Betroffenen helfen soll, ihre Rechte einzufordern“, so Schulte-Nölke.
Studie belastet auch Bischof Bode
Seit 2010 sei nach dem Rechtswissenschaftler ein Wandel festzustellen, dass Priester schneller aus dem Amt enthoben werden. Aber auch Bischof Bode habe mehrfach Priester im Amt gelassen oder ihnen durch eine Versetzung ermöglicht, neue Möglichkeiten für Gewalttaten zu geben – wohlweislich dass „kein Zweifel an seiner Gefahr“ bestand. Er habe etwa Versetzungen hinausgezögert oder Priester sofort aus dem Dienst entlassen, sie aber im Nachgang nicht genügend kontrolliert, teilweise vertretungsweise wieder eingesetzt. „Nichtstun ist bei so schwerwiegenden Vorwürfen keine Alternative“, macht der Rechtswissenschaftler klar. Bisher habe es allerdings keinen Fall von sexualisierter Gewalt vonseiten eines Pfarrers gegeben, nachdem Bode seine Pflichten verletzte.
„Die generelle Linie war Verzögern und Abwehren“, fasst Schulte-Nölke zusammen. Es ließe sich nach den derzeitigen Ergebnissen nicht erkennen, dass das Leid der Betroffenen im Mittelpunkt gestanden hätte. Im Gegenteil: „Es wurde geschwiegen, Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen wurden hinten angestellt“, erklärt Westphal. Es sei vor allem darum gegangen, das Ansehen der Kirche und der Beschuldigten zu schützen, Gläubige nicht zu verunsichern. Erklärungsansätze findet die Historikerin einerseits in der Überforderung der Bischöfe im Umgang mit diesen Straftaten. Andererseits in dem schwierigen Rollenkonflikt von einerseits Vorgesetztem und Richter sowie andererseits väterlicher und fürsorgevoller Mitbruder. „Es wurde sich mehr um den Beschuldigten als um den Betroffenen gekümmert und gesorgt“, resümiert Westphal.
Zahlungen und Leistung gegenüber Betroffenen zu gering
Nach dem Rechtswissenschaftler seien Betroffene nach wie vor weit davon entfernt, dass ihr Leid anerkannt und entschädigt wird. Dem pflichtet auch Karl Haucke bei. Haucke war in jungen Jahren ebenfalls von körperlicher, sexualisierter und spiritueller Gewalt in einem katholischen Ordensinternat betroffen. Heute setzt Haucke sich als Aktivist für Betroffene ein und bildet mit Max Ciolek und Katharina Kracht einen Teil der siebenköpfigen Steuerungsgruppe des Projektes. „Die Kirche erkennt das Leid an, das ist keine Entschädigung“, macht Haucke klar. Denn damit würde sie sich für schuldig erklären. Die Entschädigungszahlungen seien von 5.000 Euro auf bis zu 50.000 Euro erhöht worden. Außerdem gebe es bis zu 50 Stunden Therapie. „Damit bleibt man deutlich unter dem staatlichen Recht“, sagt Schulte-Nölke. „Hier besteht weiterhin Korrekturbedarf.“ Ciolek ergänzt, dass man hier nur von Obergrenzen spreche, in der Realität die Zahlungen allerdings deutlich geringer ausfallen würden.
Wieso wurde geschwiegen?
Warum wurde geschwiegen, Missbrauch vertuscht und Täter geschützt? Das soll nun in der zweiten Phase der Studie geklärt werden. „Wir suchen nun gezielt nach bestimmten Mustern und weiteren Beschuldigten“, erklärt die Historikerin. Aus über 2.800 Klerikern suche man nun in fast detektivischer Arbeit die schwarzen Schafe und bestimme Ursachen, wieso sexuelle Gewalt in der Kirche überhaupt stattfindet.
Das Bistum arbeite bisher gut mit, sei nach dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Jürgen Schmiesing „sehr hilfsbereit“. Allerdings sei dem Forschungsteam erst nach Projektbeginn bekannt geworden, dass es einen Tresor im Generalvikariat gebe. Das begründete man vonseiten des Bistums mit „Organisationsmängeln“. Dort habe das Team weitere belastende Sonderablagen gefunden, in denen Vorwürfe und Auffälligkeiten unabhängig der Personalakten dokumentiert wurden. „Ob aber einzelne Mitarbeiter nicht doch auch Informationen zurückhalten wollten, können wir noch nicht abschließend beurteilen“, sagt Schmiesing. Es könne allerdings sein, dass etwa Versetzungsentscheidungen von Personalverantwortlichen ohne diese Hintergrundakten getätigt wurden. Über 300 Akten – von Schnellhefter bis Ordner – sowie 70 Stunden Interviewmaterial mit 34 Personen aus der Bistumsleitung habe man bereits in der Studie berücksichtigt.
Betroffene können sich beim Forschungsteam melden
Universitätspräsidentin Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl betonte bei der Studie die Freiheit der Wissenschaft und die Unabhängigkeit vom Bistum. „Inmitten des gesellschaftlichen Diskurs“ forsche man erstmals interdisziplinär aus einer rechtswissenschaftlichen und historischen Perspektive. „Es wird Zeit, dass durch unabhängige Forschung Bewegung ins System kommt“, so Menzel-Riedel. Am Donnerstag (22. September) wird sich Bischof Bode zu den Ergebnissen im Rahmen einer Pressekonferenz äußern.
Explizit rief das Forschungsteam Betroffene dazu auf, sich zu melden. Gemeinsam wolle man die Taten aufklären. Betroffene können sich bei Dr. Jürgen Schmiesing entweder telefonisch unter 0541 969 6422 oder per Mail melden.
Die vollständige Pressekonferenz gibt es hier zum Nachschauen.
Hinweis: Es handelt sich bei diesen Ergebnissen um einen Zwischenbericht, den das Bistum Osnabrück nach einem Jahr selbst eingefordert hat. Das Forschungsprojekt läuft weitere zwei Jahre und zeigt derzeit lediglich Tendenzen.