Am Samstag war es soweit, meiner Lieblingsjeans wurde durch meine Frau strengstes Ausgehverbot erteilt – bzw. mir ein „Anziehverbot“ eben jenes geliebten Beinkleides. Zu sehr – so jedenfalls die Meinung meiner Frau – war die Hose inzwischen abgenutzt, und daher darf sie sich fortan nur noch bei niederen Garten- und Hausarbeiten ihr Gnadenbrot verdingen.
Also musste „Nachschub“ beschafft werden. Allerdings ist das mit modischen Textilien ja immer so ein Sache (wobei meine Frau meinen Jeans-Geschmack ohnehin nicht für sonderlich “modisch” hält), ist die Modewelt womöglich schon fortgeschritten und ein Ersatzkauf daher nicht möglich? Bevor ich mich also in die Stadt aufmachen wollte, gab es für mich daher ein paar Fragen zu klären: gibt es das Modell noch, ist die Farbe noch im Programm des Herstellers? Und da ich die Jeans nicht beim Schneider umnähen lassen wollte, ist die richtige Kombination aus Länge und Weite wohl erhältlich?
Kurioserweise führte mich die Google-Suche nicht auf die Seiten des Herstellers, sondern direkt zu Amazon – bereits jetzt mein Lieblingshändler für Bücher, Musik, Filme und inzwischen auch immer häufiger für Elektronik.
Ist Amazon inzwischen unter die Textilhändler gegangen? Offensichtlich! Und die dort angebotenen Jeans sind zudem auch noch äußerst preisgünstig. Die in der Erinnerung vor knapp zwei Jahren gezahlten knapp 70 Euro im lokalen Osnabrücker Einzelhandel, wurden von Amazon um mehr als 20% unterboten, und auch der „offizielle“ Onlineshop des Herstellers konnte mit diesem Online-Preis nicht mithalten.
Woher dieser Preisvorteil kommt ist klar. Amazon muss keine Ladengeschäfte betreiben und hoch standardisierte Ware wie Markenjeans lassen sich vermutlich auch logistisch gut verarbeiten. Allerdings war mir bislang Amazon noch nicht als relevanter Textilhändler ins Bewusstsein geraten.
Dank der rechtzeitigen Bestellung noch am Samstag-Nachmittag, wurde meine neue Jeans bereits am Montag in der Frühe geliefert – quasi parallel zur neuen Ausgabe des (ehemaligen) Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Und das war irgendwie auch passend, denn der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe vom Erfolg des Onlinehandels und vom Kampf des Traditionsunternehmens Otto – wo die gleiche Jeans im Versand übrigens mit 79,- Euro noch teurer als im Einzelhandel oder beim Hersteller gewesen wäre.
Der Otto-Konzern steht inzwischen sowohl mit dem klassischen Otto-Versand, als auch mit seinen Einkaufscentern (ECE) und Einzelhandels-Beteiligungen (u.a. Sport-Scheck) in hartem Wettbewerb zur neuen Konkurrenz von Amazon, Zalando & Co.
Die mehr als 60 Jahre Handelserfahrung sind dabei offenbar sogar eher eine Last, als ein Vorteil für Otto – zu anders „tickt“ der Onlinehandel im Vergleich zum Kataloggeschäft und zu den Innenstadt-Shoppingcentern der ECE.
Und da spannt sich der Bogen zum geplanten Shoppingcenter am Osnabrücker Neumarkt. Der immer noch „im Rennen“ befindliche Projektentwickler mfi dürfte mit Sorge die nun vom Spiegel zusammengetragenen Fakten zur Kenntnis nehmen, denn letztlich bedeutet der Trend hin zur „Online-Jeans“ auch einen Trend weg vom lokalen Einzelhandel. Wenn immer weniger Umsätze im Einzelhandel zu erwarten sind, dann dürfte bald die Nachfrage nach immer mehr Einzelhandelsflächen ein Ende finden.
Der vielgepriesene “Erlebniskauf”, also das Bummeln durch die Stadt, wird sicher nicht aussterben – nur wird das Handelsvolumen über kurz oder lang deutlich geringer. Nicht die angrenzenden Städte wie Oldenburg oder Bielefeld sind dann die großen Wettbewerber, sondern die immer verfügbaren Onlinehändler mit ihren attraktiven Onlinepreisen! Oder ist es gar schon so weit…?
Die wichtigsten Aussagen des Spiegel hier einmal als „Rosinen“ aus dem Artikel herausgepickt:
Schon heute macht der Online-Handel knapp sieben Prozent des Umsatzes im Einzelhandel aus. Bis 2020 soll sich der Anteil mindestens verdoppeln, prognostiziert Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein (…) „Wer glaubt die digitale Revolution habe schon stattgefunden, der wird sich noch wundern“, meint er. (…) „Die nächsten 2 bis 3 Jahre werden den Handel noch mehr verändern als die letzten 15.“
und weiter…
Saturn und Media-Markt verlieren Kunden, weil die sich in ihren Filialen häufig die Produkte nur noch anschauen, um sie dann im Internet billiger zu bestellen.
Der Schuhhändler Görtz muss Filialen schließen, junge Frauen lassen sich lieber von Zalando (…) beliefern.
Amazon ist hierzulande der größte Buchhändler geworden, weshalb selbst die Thalia-Kette in ihren großen Läden zunehmend Nippes verkauft.
und zu neuer Konkurrenz…
„Die Einstiegsbarrieren für den Handel sind durch Online deutlich gesunken“ (…) „Jeder Student kann in seiner abgerockten Bude jedem etablierten Anbieter in null Komma nichts Konkurrenz machen“.
Aber ist das nicht alles „nur“ ein Problem, das alte Versandhäuser wie Quelle (inzwischen längst pleite), Neckermann (gerade in die Insolvenz gerutscht) und der Otto Versand haben?
Auch wenn der aktuelle Spiegel vor allem die Probleme des Otto-Konzerns thematisiert, ist der Ausblick für die gesamten klassische Handelslandschaft dramatisch, der Spiegel schließt mit der Aussage:
Auch die großen Einkaufsmeilen werden es schwer haben, wenn Goertz, Karstadt und all den anderen die Ideen ausgehen. Vor dem Hintergrund von ein paar tausend Jahren Menschheitsgeschichte befindet sich E-Commerce erst ein paar Minuten nach dem Urknall!
Hier ein paar bereits im Frühjahr von mir bereits im Frühjahr gesammelter zusätzlicher Daten und Fakten zum Strukturwandel im Einzelhandel (PDF-Download).
Sollte die lokale Politik angesichts dieser Entwicklung wirklich auf einen Projektentwickler hören, dessen einziges Geschäftsfeld es ist Shopping-Center zu bauen?
Die Essener mfi wird selbstverständlich weiterhin ein hohes Lied auf die Zukunft des Einzelhandels singen – so wie auch die Besitzer von Pferdedroschken beim Aufkommen der ersten Autos nicht anders konnten als ihre „Hafer-Taxis“ anzupreisen – bis ihr Geschäftsmodell irgendwann obsolet wurde.
Die für den Osnabrücker Neumarkt zu treffenden Entscheidungen müssen sich auf Jahrzehnte mit einem sich immer schneller wandelnden Handelsmarkt vereinbaren lassen – und hier geht der Trend eindeutig weg vom stationären Einzelhandel. Da hilft es auch nicht, wenn man meint man müsse unbedingt mit Münster, Oldenburg oder gar Wallenhorst gleichziehen… nur weil diese Städte einen sich immer klarer abzeichnenden Handelstrend ignorieren.
Vielleicht gewinnt am Ende die Stadt, die jetzt die Zeichen der Zeit frühzeitig erkennt?
Heiko Pohlmann
Zitate und Artikel-Fotos: Der Spiegel 30/2012 vom 23.07.2012
Siehe auch Blogpost: Die Innenstadt der Zukunft, ein Showroom für den Onlinehandel?