Ganz klar, wer bei seinem Nachbarn auf dem Rasen eine Grillparty veranstalten wird, muss mit einem Platzverweis rechnen. Das man in einem Kaufhaus keine Werbeflyer verteilen darf, dürfte den meisten Osnabrückern ebenfalls klar sein, aber wo beginnen die Grenzen des öffentlichen Raums und wo hören sie auf?
Katharina-Maria Brüggemann-Heilek war sich jedenfalls nicht bewußt, dass sie etwas Unerlaubtes oder zumindest Unerwünschtes tat, als sie am Dienstag in der Innenstadt Passanten ansprach, ob sie sich nicht an der Typisierungsaktion für die 10jährige Lea Sophie aus Bad Rothenfelde (hier weitere Infos bei Facebook) beteiligen möchten.
Grundsätzlich ist das Ansprechen von Passanten und das private Verteilen von Flyern in der Innenstadt nicht verboten – solange es kein aufdringliches Betteln ist oder ungenehmigte Werbestände aufgebaut werden.
Und das was die junge Frau tat war keinesfalls aufdringlich und auch nicht kommerziell. Das versichert uns die junge Frau am Telefon, nachdem sie unsere Redaktion per Facebook auf den Vorfall aufmerksam gemacht hatte.
Doch diese „Details“ interessierten den Mitarbeiter der Kamp-Promenade nicht, wie sie uns immer noch aufgeregt berichtet. Die engagierte Helferin erhielt einen Platzverweis, verbunden mit dem knappen Hinweis, dass sie sich auf einem Privatgrundstück befinden würde. Das alles geschah im Bereich zwischen dem Elektrokaufhaus SATURN, TK Maxx und dem Eiscafé, also nicht in einem der Geschäfte selbst. Scheinbar eine Fläche wie die Große Straße oder der Nikolaiort – aber nur scheinbar.
Die Kamp-Promenade als „offenes“ Shoppingcenter
Man kann, muss allerdings keinesfalls wissen, dass die Kamp-Promenade ein eher untypisches Shoppingcenter ist. Bei der Planung vor mehr als zehn Jahren gab es eine enge Zusammenarbeit mit den Stadtplanern aus der Verwaltung, dem Investor und den lokalen Einzelhändlern. Heraus kam ein „nicht in sich abgeschlossenes“ Einkaufscenter. Also keine „Mall“, die ihre Kunden hinter schweren Glastüren halten will und sich von der bestehenden Innenstadt abkapselt, sondern ein aufgelockertes Ensemble, das wie natürlich gewachsen aus verschiedenen Einzelgebäuden besteht.
Auch wegen dieser besonderen Architektur und der besonderen Berücksichtigung der „alten Nachbarn“ und der Stadtplanung gab es bei der Eröffnung im Jahr 2004 viel Lob, auch und besonders von den alteingesessenen Geschäftsleuten, die sich über die zusätzliche Attraktivität der Innenstadt freuten.
Wo hört Privates auf – wo beginnt der öffentliche Raum?
Centermanager Alexander Natusch mit dem wir über den Vorfall sprachen bedauerte sehr, dass es zu einem Platzverweis gekommen ist. Er hat sich inzwischen für den Vorfall entschuldigt und wirbt auf seiner Facebook-Seite nun selbst für die Knochenmarktypisierung und Spenden.
„Der Mitarbeiter hätte erkennen müssen, dass es sich um eine Gute Sache und keine Werbeaktion handelte“, so der Center-Chef. Dennoch möchte er auf seinen offenen Flächen keine Prospekteverteiler von Wettbewerbern seiner Mieter dulden, und daher setzt er grundsätzlich sein Hausrecht durch.
Auch ihm fällt es schwer am Telefon den privaten Bereich seiner Kamp-Promenade abzugrenzen, und zu beschreiben wo der öffentliche Raum beginnt.
Ähnlich schwer fällt die Verortung des öffentlichen Raums dem städtischen Pressesprecher Dr. Sven Jürgensen, der für eine Antwort erstmal in der Verwaltung nachfragen muss ob hier bestimmte Regeln mit der Stadt vereinbart wurden. Sowohl der Centermanager als auch der städtische Pressesprecher einigen sich darauf, dass das Hausrecht wohl nicht den Verlauf der Kleinen und Großen Hamkenstraße umfasst, durch die das ehemalige Woolworth-Gebäude (heute Müller) und der Durchgang zur Großen Straße abgetrennt sind. Dabei gehören diese Gebäude „eigentlich“ zu den Kamp Promenaden, das C&A Gebäude allerdings nicht.
Mahnung für das Einkaufszentrum am Neumarkt?
Obwohl die Pflasterung des öffentlichen Bereichs dem Privatgrund der Kamp Promenade ähnelt, und erst zusätzliche Elemente wie Poller ein Erkennen der Grenzen ermöglichen, ist die Orientierung hier mit etwas gutem Willen möglich – obwohl keine Hausordnung öffentlich auf die geltenden Regeln und das Privatgelände hinweist.
Das am Neumarkt geplante Einkaufscenter wird die Stadt und die Bürger hingegen vermutlich vor neue Herausforderungen stellen. Der Investor plant – und die Stadt will ihm das genehmigen – sein Gebäude über Teile der Seminarstraße hinweg zu bauen. Wer dann, zum Beispiel auf dem Weg von der Universität oder der Osnabrückhalle zur Johannisstraße ist, muss dann ein in Privatbesitz befindliches Gebäude durchqueren. Laut Vertrag sollen die Türen dazu auch nach Ladenschluss geöffnet bleiben.
Anders als am Kamp, wo es noch öffentliche Wege rund um um das Privatgelände gibt, werden sich Bürger im Einkaufscenter am Neumarkt (Projektname „Oskar“) womöglich kontrollwütigen Hausdetektiven ausgeliefert sehen – selbst wenn entsprechende Verträge mit der Stadt hier der Öffentlichkeit ein Wegerecht sichern sollen.
Aber was, wenn auf diesem kurzen Stück durch das Gebäude das Aushändigen eines Flyers wie eine unerwünschte Werbemaßnahme aussieht?