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„Die Ärzte müssen entscheiden wer beatmet wird“ – Bericht aus dem italienischen Krisengebiet

In den letzten fünf Jahren wurde Italien von mehreren Erdbeben, Fluten und Brückeneinstürzen erschüttert. Jetzt kämpft das Land mit einer neuen Herausforderung: Dem Corona-Virus. Wie die in der Krisenregion lebende Roswitha Franz die aktuelle Situation erfährt, erzählt sie im Interview mit unserer Redaktion.

Am 17. März meldeten die Behörden 591 Corona-Infizierte in der norditalienischen Region Trentino – allein 106 davon aus Trient, der Provinzhauptstadt.

Die laut dem Smart City Index nachhaltigste Stadt Italiens hat seit mehreren Wochen mit der zunehmenden Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus zu kämpfen. Es wurden bereits zahlreiche Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen: Schulen, Universitäten, Restaurants, Kinos und viele weitere Institutionen bleiben vorerst geschlossen. Ausgenommen von der Regelung sind lediglich Kioske, Apotheken und Supermärkte. Der vor ein paar Wochen noch selbstverständliche Besuch des Tante-Emma-Ladens im Nachbardorf ist jetzt nur noch unter strengen Vorschriften möglich.

Sevignano liegt in Trentino, im Cembretal.
Sevignano liegt in Trentino, im Cembretal. Karte: OpenStreetMap-Daten | Lizenz: Open Database License (ODbL)

Ausgangsverbot mit wenigen Ausnahmen

Rosi Franz lebt in Sevignano, einem kleinen Ort im Cembratal, circa 28 km außerhalb der 118.000 Einwohner-Stadt Trient in Südtirol. Veränderungen durch das Inkrafttreten der neuen Verfügungen seien jedoch auch außerhalb der Großstädte zu spüren. „Bei uns im Dorf war es generell immer sehr ruhig“, erzählt sie, „Oft konnte ich die Kinder draußen durch mein Wohnungsfenster spielen und lachen hören – das hat sich jetzt geändert“. Wer das Haus verlassen möchte, muss eine Selbstauskunft des Ministeriums bei sich tragen. „Das Formular kann online abgerufen und ausgedruckt werden. Mit seiner Unterschrift bestätigt der Inhaber, dass er nicht in Quarantäne oder wissentlich am Corona-Virus erkrankt ist“, erklärt die Wahl-Italienerin. Ausnahmen für das Ausgangsverbot gelten nur bei Eintreten eines Notfalls, gesundheitlichen Belangen und dem Weg zur Arbeit. Als Bestätigung für Letzteres erhalten Betroffene ein Zertifikat ihres Arbeitgebers.

Strenge Strafen bei Verstoß

Mittlerweile gibt es in Italien über 20.000 gemeldeten Verstöße gegen das Ausgangsverbot. Die meisten Italiener halten sich allerdings an die Anordnungen der Regierung. „Die Menschen hier akzeptieren die aktuelle Situation, sind sehr verständnisvoll und übernehmen Verantwortung für ihre Mitmenschen. Wir müssen Alte und Kranke besonders schützen“, legt Franz dar. Bei Missachtung der neuen Regelung drohen Geldstrafen über 200 Euro oder Haftstrafen von bis zu zwei Jahren. „Wer wissentlich mit dem Corona-Virus infiziert ist und sich nicht an die Quarantäne Vorschriften hält, kann mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis rechnen“, fügt Franz hinzu.

Einkauf mit Hindernissen

Das Ausgangsverbot reicht über den eigenen Haushalt, bis zum Verbot die Gemeinde zu verlassen, hinaus. „Einwohner der kleinen Gemeinden kommen nicht mehr in die großen Einkaufscenter. Die Beamten kontrollieren die Einfahrten stetig und überprüfen die Selbstauskünfte durchquerender Personen. Ich fahre in letzter Zeit immer zum kleinen Tante-Emma-Laden im Nachbardorf. Der liegt zum Glück noch in unserer Gemeinde“, erzählt Franz. Doch auch beim Einkaufen müssen strenge Vorschriften eingehalten werden: „In dem Lädchen sind nur bis zu drei Personen erlaubt, um den Sicherheitsabstand von einem Meter gewährleisten zu können. Die Kasse ist durch eine Plexiglas-Scheibe von den Kunden abgeschirmt. Wer einkaufen will, muss vor Betreten des Ladens Einmal-Handschuhe anziehen“, berichtet Franz. Eine Lebensmittelknappheit gäbe es allerdings nicht: „Als ich noch in den größeren Supermärkten einkaufen konnte, waren nur wenige Produkte komplett vergriffen. Beim nächsten Besuch hatte das Personal die ausverkaufte Ware auch schon wieder nachgefüllt.“ Ältere und alleinstehende Menschen können sich Lebensmittel und Medikamente nach Hause liefern lassen.

"Die Ärzte müssen entscheiden wer beatmet wird" - Bericht aus dem italienischen Krisengebiet
„Das Ortszentrum ist wie leer gefegt!“/Foto: Roswitha Franz

Katastrophale Situation in den Krankenhäusern

„Im Nachbardorf ist ein 83-jähriger Mann an dem Corona-Virus erkrankt“, erzählt Franz betroffen, „jetzt liegt er zur Behandlung im Krankenhaus. Dort herrschen mittlerweile katastrophale Zustände. Die Ärzte müssen entscheiden, wer beatmet wird und wen sie zum Sterben nach Hause schicken“. Um die Kapazitäten zu erhöhen haben die verzweifelten Hospitale Notzelte mit provisorischen Betten eingerichtet. Ärzte und Krankenpfleger, die noch im Studium sind, können ihre Prüfung vorzeitig ablegen, um direkt einsetzbar zu sein. „Dieses Angebot wird nicht selten angenommen“, berichtet die Wahl-Italienerin, „unsere Ärzte und Pflegekräfte versuchen trotz der Krisensituation stets positiv zu bleiben“. In Italien haben wir den Hashtag „#andràtuttobene„, zu deutsch: „Alles wird gut“.“

Unterricht per Videochat

Seit Schließung der Schulen und Universitäten findet Bildung online statt. Lehrer unterrichten ihre Schüler per Videochat oder schicken ihnen Aufgaben zu. „Die Kinder sehen die Situation relativ gelassen. Es ist schade, dass sie ihre Freunde vorerst nicht mehr treffen können, aber auch die jüngsten in Italien haben den Ernst der Lage verstanden“, erzählt die gebürtige Deutsche. Sie habe jedoch die Befürchtung, dass die Schulen noch lange geschlossen bleiben werden. Zur Abwechslung bleibt den Kindern immer noch der Garten, um sich auszutoben. „Die Menschen hier im Ort sind momentan oft draußen im Garten und betätigen sich handwerklich. Einige bauen sogar eigenes Gemüse an“, erzählt Franz.

#andràtuttobene

Kein anderes westliches Land hat bisher solch signifikante Maßnahmen getroffen wie Italien. In der Bevölkerung stößt das Vorgehen auf Verständnis: Für die Gemeinschaft aktiv zu sein bedeutet nicht immer große Taten vollbringen zu müssen. In Zeiten von Corona ist die Einschränkung der eigenen Freiheit zum Schutz der Schwächeren in der Gesellschaft bereits ein wichtiger Schritt. Gerade in der momentanen Situation ist Zusammenhalt und Rücksichtnahme wichtiger denn je – in diesem Sinne: #andràtuttobene!

 


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