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Der Osnabrücker Handgiftentag ist tatsächlich ein Etikettenschwindel

Wenn sich an diesem Montagabend (6. Januar) die Mitglieder des Osnabrücker Stadtrats und das Who-is-who der Stadtgesellschaft die Hände reichen, hat das nur noch wenig mit dem ursprünglichen Handgiftentag zu tun – im Gegenteil.

Die mittelalterliche Osnabrücker Stadtverfassung, die Sate aus dem Jahr 1348, legte ursprünglich fest: „… ein jeder unser Börger / de eegen Roeck heft binnen Osenbrügge / ohne dejennen de in dem Raede geseten hebben / schollen alle Jar / des negesten Dages na Nyen Jar / gahn up das Huß / dar men de Scheppen kesen schall.“ Übersetzt ins heutige Deutsch bedeutet das: „Ein jeder unserer Bürger, der einen Wohnsitz [eigene Herdstelle] innerhalb Osnabrücks hat – ausgenommen diejenigen, die im Rat gesessen haben – soll alljährlich am Tag nach Neujahr zum Rathaus gehen, wo die Ratsherren [damals „Schöffen“] gewählt werden.“

Vorherige Ratsmitglieder waren ausdrücklich nicht erwünscht

Interessanterweise waren also diejenigen, die bereits dem Rat angehörten, demnach ausdrücklich von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Handgiftentag war somit ursprünglich eine Wahl- und Einführungsveranstaltung für neue Ratsmitglieder, die danach ein Jahr lang – unbelastet von den Entscheidungen ihrer Vorgänger – die Politik der Stadt bestimmten.

Der heutige Handgiftentag hingegen präsentiert ein anderes Bild: Hier treffen sich die „immer gleichen“ Vertreter der Parteien, teils seit Jahrzehnten im Stadtrat aktiv und immer wieder neu gewählt, ergänzt um einige ehemalige Ratsmitglieder, Landes- und Bundespolitiker, sowie Vertreter aus Vereinen, Verbänden und der Wirtschaft.

Rat war im Mittelalter entsprechend der Stadtgesellschaft paritätisch besetzt

Die Wahl der neuen Ratsmitglieder erfolgte damals in einem komplexen Verfahren. Dieses sollte nicht nur sicherstellen, dass jedes Jahr neue und unverbrauchte Gesichter die Geschicke der Stadt mit frischen Ideen  lenkten, sondern auch, dass alle Handwerkszünfte gemäß ihrer Bedeutung in der Stadtgesellschaft vertreten waren. Eine überproportionale Präsenz von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes oder bestimmter Arbeitgeber – wie sie heute bei den Osnabrücker Grünen (z. B. Terre des Hommes) vorkommen könnte – wäre damals undenkbar gewesen. Allerdings waren in der damaligen Ständegesellschaft nur der Adel und das Bürgertum aktiv und passiv wahlberechtigt, nicht die die einfache Bauernschaft, Diener oder Tagelöhner. Deren moderne Vertreter sind allerdings auch heute nicht unbedingt beim Handgiftentag zu sehen – aber immerhin alle fünf Jahre zur Kommunalwahl wahlberechtigt.

Wer nicht zum Handgiftentag erschien, musste eine Strafe zahlen

Im Mittelalter war es so, dass nach Abschluss des Wahlprozesses – an dem alle Bürger unter Androhung einer Geldstrafe von drei Schillingen teilnehmen mussten – man sich schließlich die Hände reichte; das namensgebende ‚Handgiften‘. Und das stets am ersten Werktag des neuen Jahres. Doch selbst diese Regelung zum Termin wurde inzwischen aufgegeben. Aus Rücksicht auf die Urlaubsplanung der Ratsmitglieder wurde auch dieser Aspekt im Jahr 2015 geändert. Seitdem findet die Veranstaltung, die nur noch dem Namen nach an die Tradition erinnert, und weil man sich am Ende die Hände reicht, in der ersten vollständigen Woche des neuen Jahres statt. Mehr zur Geschichte des Handgiftentags hier auf HASEPOST.de, bei der Stadt Osnabrück und bei Wikipedia.


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2014, basierend auf dem unter dem Titel "I-love-OS" seit 2011 erschienenen Tumbler-Blog. Die Ursprungsidee reicht auf das bereits 1996 gestartete Projekt "Loewenpudel.de" zurück. Direkte Durchwahl per Telefon: 0541/385984-11

  

   

 

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