Eine Sekretärin aus Lingen entwickelte 1946 in Osnabrück das Konzept für den Spiegel! Das geht aus einem Interview hervor, das 10 Jahre nach dem Tod der späteren Spiegelredakteurin veröffentlicht wurde.
Anlässlich seines 70jährigen Geburtstags feiert sich die wöchentliche Nachrichtenillustrierte aktuell selbst. In einer Artikelreihe erinnert die Redaktion an die längst vergangenen guten Zeiten, in denen Der Spiegel als das deutsche „Nachrichtenmagazin“ Woche für Woche Auflagen von über 1,2 Millionen Exemplare erreichte (aktuell weniger als 800tsd.) und zur Sperrspitze des Journalismus zählte (inzwischen: „Stoppt Putin jetzt“).
Der „Dummy“ für den Spiegel wurde in Osnabrück entwickelt
Zu den Zeitzeugen der einstigen eigenen Größe, die der inzwischen in Hamburg ansässige Verlag gerne zitiert, gehört auch Hildegard Neef. Wie Spiegel-Gründer Rudolf Augstein (†2002) musste „die Hebamme des Spiegel“ den Niedergang und die Entlassungswellen der vergangenen Jahre nicht mehr miterleben, sie starb 2007.
Offenbar noch rechtzeitig vor ihrem Tod wurde ein Interview gemacht, das nun zum 70jährigen Jubiläum veröffentlicht wurde.
Osnabrück wird durch die nun bekannten Hintergründe zur Spiegel-Gründung zwar nicht zum Geburtsort, aber zumindest zum „Ort der Zeugung“ des Spiegel. An der Hase wurde immerhin das Heftkonzept für den Spiegel entwickelt und ein erster „Dummy“ gesetzt.
Der Spiegel sollte Deutschland re-demokratisieren
Die Gründung des Spiegels war Teil der Demokratisierungs- und Entnazifizierungsaktivitäten der Westalliierten. Nach dem Vorbild der Presse in den Herkunftsstaaten der jeweiligen Besatzer, wurden Pressetitel gegründet und durch deutsche Verleger herausgegeben, die dafür von den Militärverwaltungen eine Lizenz und die notwendigen Papierzuweisungen erhielten.
Bevor am 4. Januar 1947 im Verlagshochhaus des Madsack Verlags am hannoverschen Steintor das erste Heft des Spiegel erschien, war bereits seit November 1946 ein Vorläufer unter dem Titel „Diese Woche“ erschienen.
Einer der Herausgeber des Spiegel-Vorläufers war der britische Presseoffizier John Seymour Chaloner, der einige Wochen später die Verantwortung an den ursprünglich lediglich als Leiter des Referats Deutschland angestellten Rudolf Augstein übergab.
Eine Sekretärin aus Lingen entwickelte das Layout
Bevor Presseoffizier Chaloner in Hannover kurzzeitig zum Verleger wurde und kurz darauf an den glücklichen Augstein den Grundstein für ein florierendes Verlagsgewerbe verschenkte, lernte er die in Lingen (Ems) als Sekretärin und Dolmetscherin für die britische Militärregierung tätige Hildegard Neef kennen.
Offenbar traute der Brite der jungen Frau, der er im Emsland begegnet war, eine Menge zu. Im 70 Jahre später veröffentlichten Interview schildert sie, wie er sagte, „dass er ein Magazin starten würde – ob ich Lust hätte, mit nach Osnabrück zu kommen. Damals hatte man ja nicht viel mehr als seine sieben Sachen in einem Köfferchen und konnte sehr schnell den Ort wechseln. Ich ging also mit.“.
In Osnabrück angekommen zeigte der britische Offizier was er von der talentierten Sekretärin erwartete: „Chaloner zeigte mir eine Zeitschrift und sagte: „Etwas Ähnliches stelle ich mir für Deutschland vor.“ Wir bastelten daraus also ein Muster: schnitten Artikel aus der Vorlage aus, schrieben einige auch selber, machten einen Umbruch und Zeichnungen. Zusammengeklebt habe ich das dann allein. Gesetzt wurde er in der „Osnabrücker Zeitung“ (vermutlich meint Frau Neef hier die „Osnabrücker Rundschau“, eine „Osnabrücker Zeitung“ gab es 1946 nicht, die Hasepost-Redaktion), in deren Redaktion waren wir ja zu Gast. Aber ich kann mich um nichts in der Welt an den Namen der Vorlage erinnern. Rudolf Augstein sagte einmal, wir hätten uns „Time“ zum Vorbild genommen, aber das stimmt nicht. Zu dem Zeitpunkt kannte ich „Time“ noch gar nicht. Ich kannte nur englische Zeitschriften und Magazine. Ich meine, unser Vorbild hätte „The Sweet“ geheißen und ging nach wenigen Ausgaben pleite. Das war das Urbild des SPIEGEL.“
Das gesamte Interview mit Hildegard Neef ist online abrufbar.
Foto Spiegel Verlagsgebäude von Dennis Siebert, CC BY-SA 3.0