Am Donnerstagabend war es wieder soweit: Vor allem junge Leute zogen in Massen durch die Innenstadt, um ihr „Bierdiplom“ zu absolvieren. Was ist das und was kann das? Und was bleibt davon übrig, am Morgen danach?
Was davon am Freitagmorgen übrig geblieben ist: ein sicherlich mächtiger Kater und Massen an Müll. Die Osnabrücker Altstadt ist übersät von Müll, Plastikbechern und besonders vielen zerbrochenen Flaschen und Gläsern – Scherben und Glassplitter soweit das Auge reicht.
Fake-Diplom fürs Komasaufen
Zweimal im Jahr kann in Osnabrück das „Bierdiplom“ gemacht werden. Dabei handelt es sich um eine informelle Bezeichnung für eine Art Zertifikat, das im Zusammenhang mit Bierkonsum steht. Es handelt sich dabei nicht um einen offiziellen akademischen Abschluss, sondern um eine vermeintlich witzige Anerkennung für Menschen, die eine bestimmte Menge Bier getrunken haben.
In Osnabrück nehmen insgesamt 28 Kneipen, Bars und Clubs am „Bierdiplom“ teil, darunter Alando, Altstadhütte, bottled, Henne oder Grüne Gans. Start ist im Balou, im Dirty & Dancing sowie im Unikeller – anschließend geht es durch die Innenstadt. Für ein Startgeld von 9 Euro kann man teilnehmen. Um ein „Bierdiplom“ zu erlangen, müssen innerhalb von fünf Stunden zehn Getränke in zehn Bars konsumiert werden. Für das „Diplom Cum Laude“ sind zwölf Getränke in zwölf Bars notwendig. Wer den „Doktor“ oder gar die „Habilitation“ erlangen will, muss 14 Getränke in 14 Bars beziehungsweise 15 Getränke in 15 Bars runterschütten, hat dafür allerdings jeweils sechs Stunden Zeit.
Nachtleben kennen lernen
Auffällig viele Studierende sind dabei unterwegs. Der Vorteil des „Bierdiploms“ liegt für sie auf der Hand: Gerade die Erstsemester lernen durch die Aktion Osnabrück als neue Wahl-Heimat sowie das Nachtleben, die Straßen, Bars und Kneipen kennen. Aber verherrlicht solch eine Aktivität nicht auch den Alkoholkonsum? „Ja, in gewisser Weise schon“, gibt die 21-jährige Melina zu, die als Teil einer sechsköpfigen Gruppe gegen 20.30 Uhr vor der HASEPOST-Redaktion steht – alle mit einer Flasche Bier in der Hand. Bis auf einen: Mirko, ebenfalls 21 Jahre alt, trinkt Sprite. „Man muss nicht zwingend Alkohol trinken, antialkoholische Getränke gehen beim ‚Bierdiplom‘ auch. Aber ich denke, dass die meisten zu Alk greifen. Ich mag’s halt nicht, wollte aber trotzdem einen netten Abend mit meinen Kommilitonen haben.“
„Wie geil ist das denn? Hier ist ja die Bierstraße!“
Er soll recht behalten. Wenn man sich in den Straßen der Altstadt umschaut, sind vor allem Menschen mit Bier zu sehen. „Wie geil ist das denn? Hier ist ja die Bierstraße!“ Der torkelnde junge Mann, der das feststellt, scheint sich in Osnabrück noch nicht so gut auszukennen. Schließlich ist die Bierstraße recht bekannt und zentral in der Altstadt gelegen, führt am Kartoffelhaus, dem Rathaus und der Tourist-Information vorbei.
Um das „Diplom“ zu erhalten, müssen Stempel auf einer Teilnahmekarte gesammelt werden. Aber diese begehrten Stempel gibt’s nur für bestimmte Getränke: Bier, Alster, Shots oder alkoholfreie. Melina ist seit zwei Stunden dabei, hat aber erst ihr zweites Bier. „Könnte knapp werden, ich habe mich verquatscht“, sagt sie. Um zehn Getränke in fünf Stunden zu schaffen, müsste sie eigentlich halbstündlich ein neues ordern. „Dann müssen es später eben ein paar mehr sein“, lacht sie und stößt mit einer Kommilitonin an.
Jede Medaille hat zwei Seiten
In dem Lachen der jungen Studentin spiegelt sich der negative Aspekts des „Bierdiploms“ wider: die Verharmlosung des Alkoholkonsums und die potenzielle Förderung riskanten Trinkverhaltens. So gesellig der Abend und so nützlich es für die teilnehmenden Gastronomen auch sein mag – die Medaille respektive das „Bierdiplom“ hat zwei Seiten. Das zeigt sich zusätzlich am Freitagmorgen, denn weder die Gäste noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schankbetriebe haben die Spuren beseitigt.
Bei einer Altstadtkneipe wurden vom Personal draußen die Stühle und Tische zusammengeschoben, festgekettet und abgedeckt, aber die Bierflaschen vor und zwischen den Tischen sind liegen geblieben. Abgebrochene Flaschenhälse, spitze Glasböden sowie zahlreiche Scherben und Splitter sind in der Heger Straße und der Großen Gildewart verteilt, in der Hasestraße wehen leere Plastikbecher über die Fahrbahn oder sind in der Gosse gelandet, volle Bierbecher wurden neben Hauseingängen, Shotgläser in Pflanzkübeln abgestellt – und es riecht stellenweise nach einer Mischung aus Bier und Erbrochenem.