Erfinder der Bundesjugendspiele oder Türsteher?
Ganz so einfach ist die Formel nicht, auf die man eine Aktion verkürzen könnte, bei der am vergangenen Wochenende zwei Straßen zeitweise mit neuen Schildern und Namen versehen wurden.
Eine Gruppierung, die sich selbst als „Initiative für geschichtliche Verantwortung“ bezeichnet, war losgezogen und hatte in der Nacht die beiden Straßen umbenannt. Die betroffenen Straßennamen sind den Verantwortlichen im Rathaus nicht unbekannt, bereits 2002 und zuletzt 2012 gab es Bemühungen und eine Ratsdebatte, die beiden Straßen umzubenennen, doch es geschah nichts. Im Mai dieses Jahres, wurde Oberbürgermeister Wolfgang Griesert von der Osnabrücker Friedensinitiative aufgefordert tätig zu werden.
Wer war Peter Hamel – wer Carl Diem?
Wer in den 80er Jahren in Osnabrück seine ersten Disco-Erfahrungen gemacht hat, dürfte sich vermutlich an Peter Hamel erinnern, auch wenn sein Name nur wenigen bekannt ist.
Peter Hamel war der Türsteher der legendären Club-Discothek Ekkes, die unterhalb der Stadthalle am Wall eine Institution der damaligen Partyszene war. Seine Aufgabe war es, für die als „Popper-Disco“ berüchtigte bekannte Kellerdisco „das richtige“ Publikum an der Tür auszusortieren. Das gelang ihm durch seine physische Präsenz (Peter Hamel war deutlich über zwei Meter groß und recht „massig“), aber auch durch eine immer freundliche Art recht gut.
Da das Ekkes eine der wenigen Osnabrücker Gaststätten war, die bis weit in den frühen Morgen geöffnet hatte, war der Türsteher des Ekkes vielen Szenegängern, die im Laufe der Nacht eine noch geöffnete Lokalität suchten, bekannt. In den frühen Morgenstunden war „die Tür“ damals längst nicht mehr so streng, und es versammelte sich ein buntes Publikum unterhalb der jetzigen OsnabrückHalle.
Dieser Mann, der wie ein Baum wirkte und regelmässig mit Worten, nicht mit Gewalt, an seiner Tür für Ruhe sorgte, wurde schließlich ein Opfer von Gewalt.
Peter Hamel zeigte auf dem Nachhauseweg Courage
An einem Septemberabend 1994 machten sich drei Heranwachsende aus dem Landkreis auf den Weg nach Osnabrück, um, so wurde es im späteren Prozess geäußert, „Schwule aufzumischen“. Sie trafen an der Heinrich-Heine-Straße (nähe Hauptbahnhof) auf zwei junge Männer, die sie als schwul zu erkennen glaubten und begannen unmittelbar mit Beleidigungen, denen ein tätlicher Angriff folgte.
Beide Opfer konnten rechtzeitig in ihr Auto steigen und versuchten zu flüchten. Der 20jährige Haupttäter spuckte und schlug gegen das Auto, sodass infolge eine Fensterscheibe zu Bruch ging. In diesem Augenblick näherte sich der 34jährige Peter Hamel dem Geschehen und machte das, was wir alle uns in einer solchen Situation wünschen würden; er zeigte Zivilcourage.
Eine Entscheidung, die Peter, der von seinen Freunden als herzensguter Mensch bezeichnet wurde, wenige Stunden später im Krankenhaus mit seinem Leben bezahlen musste.
Der Haupttäter schlug Peter Hamel mit einer Bierflasche auf den Kopf und trat 10-20 mal auf das am Boden liegende Opfer ein. Dabei handelte es sich ausschließlich um Tritte gegen Kopf und Oberkörper. Von der Brutalität erschrocken, versuchten die Mittäter und die zuvor attackierten Opfer, den Täter von weiteren Tritten abzuhalten. Es gelang ihnen, den Täter festzuhalten, bis die Polizei am Tatort eintraf und den 20jährigen festnahm.
Große Anteilnahme direkt nach der Tat
Die folgenden Wochen waren gekennzeichnet von großer Anteilnahme. Über mehrere Tage veranstalteten verschiedenste Initiativen am Tatort eine Mahnwache und verteilten Flugblätter. Auf einer zentralen Gedenkfeier am 24.9.1994 auf dem Nikolaiort sprachen neben mehreren Initiativen auch Vertreter der Ratsfraktionen.
Alle verurteilten die Gewalttat und zeigten sich empört über die zunehmende Gewalt gegen „Minderheiten“. Auch wurde über die Motive der Täter spekuliert. Die Polizei ließ verlauten, dass der Haupttäter nicht der rechten Szene zuzuordnen sei. Dennoch lässt die homophobe Gewalttat ein rechtes Weltbild der Täter vermuten. Im nachfolgenden Prozess, durch den der Haupttäter zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wurden die Ursachen im privaten Umfeld, des bereits wegen mehrerer Gewaltdelikte in Erscheinung getretenen Täters, gesucht.
Er sei ein Opfer seiner selbst gewesen und würde den Hass auf sich selbst, durch Gewalttaten, gegen Andere richten.
Nach dem Mord an Peter Hamel seine Courage nicht vergessen
Mit dem Urteil vom 14.3.1995 wurde leider auch das Gedenken an Peter Hamel leiser. Dieses möchten die Initiatoren der Straßen-Umbebennung ändern. Über 20 Jahre nach der Entscheidung des Türstehers Peter Hameln nicht wegzuschauen sondern zu handeln, wenn andere Menschen Hilfe benötigen, sei dieses das Mindeste, was wir und die Stadt Osnabrück ihm bieten können, erklärt die „Intitiative für geschichliche Verantwortung“ auf der alternativen Newsplattform Indymedia.
Auch Carl Diem kennen viele Osnabrücker – indirekt
Carl Diem kennt man, aber meist nur indirekt: er gilt als der Erfinder der Bundesjugendspiele. Allerdings wird diese „Erfindung“ zurückgeführt auf die „Reichsjugendwettkämpfe“. Obwohl diese Vorläuferaktion schon sehr nach Nazizeit klingt, ist sie „eigentlich“ unbelastet, weil schon in den 1920er Jahren erstmals gestartet.
Carl Diem jedoch, kann nicht so ohne weiteres entlastet werden. Diem inszenierte für „die Spiele des Führers“ 1936 den sogenannten Fackellauf. In verschiedenen Medien propagierte Carl Diem den Nationalsozialismus, zum Beispiel in der von Reispropagandaminister Joseph Goebbels überwachten Wochenzeitung, in welcher er „mit atemloser Spannung und steigender Bewunderung diesen Sturmlauf, diesen Siegeslauf“ durch Frankreich feierte und den „Sturmlauf durch Polen, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich“, als „Siegeslauf in ein besseres Europa“ sah.
Erfinder der Jugendspiele schickte hunderte Kinder in den Tod
Noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges rief er die Hitlerjugend (teilweise Jugendliche in den 14. Lebensjahren) in einer öffentlichen Rede zum „finalen Opfergang für den Führer“ auf und schickte so hunderte von Kindern in den Tod.
Die Initiatoren der Straßenumbenennung argumentieren: „Eine Person, welche der oberen Führungsriege angehörte, muss vom Holocaust gewusst haben. Carl Diem blieb seinem Amt als Reichssportführer jedoch treu, beschimpfte in seinen später aufgedeckten Tagebüchern Juden als „Semitenbande“ und zeigte nach der Befreiung keine Reue an seinen Taten und Äußerungen in der NS-Zeit, sondern stellte sich stets als Opfer des Hitlerregimes dar“.
Die Initiative zeigt auf, dass in den letzten zwanzig Jahren Schulen, Turnhallen und Straßen, die nach Carl Diem benannt waren, andernorts erfolgreich umbenannt wurden. Selbst Würzburg, die Geburtsstadt Diems, strich seinen Namen aus dem Stadtbild. Auch in Köln, Sitz der von Carl Diem gegründeten Sporthochschule, setzte ein Bezirk, trotz massiver Proteste seitens der Sportuniversität, eine Umbenennung des Carl-Diem-Weges durch.
Giesbert-Bergerhoff-Straße soll Karl-Heinz Dusbaba-Straße werden
Während die Umbenennung der Carl-Diem-Straße Vorbilder in anderen Städten hat und die Person Peter Hamel sehr vielen Osnabrückern bekannt sein dürfte, ist die weitere in der Diskussion stehende Straße hinsichtlich ihres Namenspaten weniger bekannt.
Giesbert Bergerhoff war während der Zeit des Nationalsozialismus Bürgermeister von Atter. Bürgermeister konnte nur sein, so argumentieren die Initiatoren der Umbenennung, wer mit der nationalsozialistischen Ideologie konform ging und Mitglied in der NSDAP war; Bergerhoff bekleidete sogar das Amt des Ortsgruppenleiters der NSDAP. Zusätzlich heißt es laut NOZ (Abruf ggf. kostenpflichtig), dass er aktiv in der SA (Sturmabteilung) Osnabrücks war und sogar eine Leitungsposition innehatte; eine Kampforganisation, die die Verwirklichung der nationalsozialistischen Rassenideologie durch Gewalt zur Aufgabe hatte und maßgeblich an der Durchführung der Novemberpogrome im Jahre 1938 beteiligt war.
Karl-Heinz Dusaba, ein Osnabrücker Sinti der Auschwitz überlebte
1941, im Alter von nur drei Jahren, wurde Karl-Heinz Dusbaba, ein in Osnabrück lebender Sinti, gemeinsam mit seiner Familie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. 1945 wurde das Lager befreit und sie gingen zurück nach Osnabrück. Dusbaba war zu diesem Zeitpunkt sieben Jahre alt und litt unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Sein Vater beschrieb ihn als unterernährt; er wies Hungerödeme auf und kämpfte mit schweren seelischen Schäden. Weiter vermutete sein Vater ein Herzleiden. Aus diesen Gründen habe er ihn erst später zur Schule geschickt. Für den damaligen Schulleiter der Pestalozzi-Schule stellte dies keinen Einzelfall dar und bedürfe aufgrund des immer noch schlechten Zustandes von Karl-Heinz Dusbaba 1949 keiner Überprüfung.
Trotz Auschwitz nicht als Naziopfer anerkannt
Der Vater von Karl-Heinz Dusbaba forderte in mehreren Verfahren die Anerkennung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie der daraus resultierenden beruflichen Einschränkungen seines Sohnes in Form von Entschädigungen. In mehreren ärztlichen Gutachten wurden keine körperlichen, krankhaften Befunde festgestellt. Der Amtsarzt argumentierte hierzu 1955: „[…] Zum Zeitpunkt der Verfolgung war das Kind D. 5-7 Jahre alt. Es ist unwahrscheinlich, dass jetzt noch aus dieser Zeit Schäden vorliegen.“ Langzeitschäden, die Kinder in Folge einer KZ-Inhaftierung zu erleiden hatten, wurden somit geleugnet.
Auch erhielt Karl-Heinz Dusbaba keine Invalidenrente: Er hätte direkt nach KZ-Entlassung zur Schule gehen können, um somit die vorberuflichen Voraussetzungen zu schaffen. Eine Berücksichtigung seines gesund heitlichen Zustandes hat hier nicht stattgefunden.
Tatsächlich verstarb Dusbaba mit 25 Jahren an einem Herzleiden. Er hinterließ seine schwangere Frau, die gemeinsam mit seinem Vater noch jahrelang um Entschädigung prozessierte – ohne Erfolg.
[mappress mapid=“156″]
Dieser Artikel basiert in Teilen auf einer Erklärung der Intitiative für geschichliche Verantwortung, die unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0 DE auf Indymedia.org veröffentlicht wurde.
Kommentarfunktion ist geschlossen.