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Anschreiben mit ChatGPT: Osnabrücker Hochschulprofessor über die Risiken von KI im Bewerbungsprozess

Fachkräftemangel – es könnte schon fast das Unwort des Jahres sein. Wie sieht es mit Fachkräften in und um Osnabrück aus und warum wird zunehmend Künstliche Intelligenz im Bewerbungsprozess eingesetzt? Prof. Dr. Uwe Kanning, Professor an der Hochschule Osnabrück, erklärt, welche Tücken KI beim Auswahlgespräch mit sich bringt. 

Fachkräftemangel in und um Osnabrück sei laut Prof. Dr. Uwe Kanning je nach Branche sehr unterschiedlich. Dass überall Fachkräfte fehlen, sei nicht richtig, aber in einigen Bereichen sei der Bedarf sehr groß – etwa im Gesundheitswesen oder auch Programmierer und Bauingenieure werden händeringend gesucht. Kanzleien und BWLer gebe es hingegen wie Sand am Meer.

Fachkräftemangel nicht in allen Arbeitsbereichen

Große Unternehmen mit einem entsprechenden Image – etwa Siemens oder VW – haben dabei deutlich weniger Probleme, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden als kleinere Unternehmen. „Viele kleine Unternehmen haben kein Image“, sagt der Hochschulprofessor. Sie wiederum haben es deutlich schwieriger, Mitarbeitende zu finden. Dabei arbeiten rund 80 Prozent der Deutschen in eben diesen Firmen mit bis zu zehn Mitarbeitenden. Viel zu spät hätte die Bundesregierung laut Kanning auf den bereits vor 20 Jahren absehbaren Fachkräftemangel reagiert. Ausgleich schaffe man derzeit vor allem mit Digitalisierung. „Arbeitsplätze in der Produktion oder Verwaltung werden sicherlich durch Roboter ersetzt werden, aber das geht nicht beliebig“, sagt Kanning. Viele Unternehmen müssten sich auf Effizienzsteigerung einstellen: mit weniger Menschen mehr leisten. „Der Mangel bleibt und der deutsche Arbeitsmarkt muss für Menschen aus dem Ausland attraktiv werden.“

Prof. Dr. Uwe Kanning auf dem Caprivi-Campus in Osnabrück / Foto: Bettina Meckel-Wolf
Prof. Dr. Uwe Kanning auf dem Caprivi-Campus in Osnabrück / Foto: Bettina Meckel-Wolf

Mehr Fluktuation durch Generation Z?

Die Ansprüche an Arbeit haben sich durch die sogenannte Generation Z (Jahrgänge 1995 bis 2010) verändert. Dass junge Menschen aber häufiger und schneller den Job wechseln, ist wohl eher eine subjektive Wahrnehmung, als eine objektive Tatsache. „Das ist vor allem von Branche und Region abhängig“, so Kanning. In einigen Bereichen wie der Unternehmensberatung gehöre Wechsel einfach dazu. Auf dem Land sehen hingegen die Lebensentwürfe oft ganz anders aus. In einer Untersuchung hat Kanning herausgefunden, dass etwa alle fünf Jahre Menschen ihren Job wechseln. „Eine Kündigung hat aber oft mit zwischenmenschlichen und weniger mit materiellen Dingen zu tun“, weiß er. Den Schritt zu wagen, durch den sich viel im Leben ändern kann – Umzug, Freundschaften und neue Kontakte – habe oft damit zu tun, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr wohlfühlen. Und tatsächlich, so zeigen es erste Ergebnisse, sei es, anders als oft behauptet, eher von Vorteil in regelmäßigen Abständen den Job zu wechseln, denn das zeige Offenheit gegenüber Neuem. Doch mit jedem Jobwechsel beginnt der Bewerbungsprozess von Neuem – heute oft mit der Unterstützung von KI.

Anschreiben heute quasi irrelevant

ChatGPT ist in aller Munde. Der Osnabrücker Europaabgeordnete Tiemo Wölken verfasste mit der Künstlichen Intelligenz eine Rede und auch unsere Redaktion wagte ein Experiment. Da stellt sich natürlich die Frage: Könnte ich meine Bewerbung mit ChatGPT schreiben und würde es auffallen?

„Es könnte funktionieren“, meint der Wirtschaftspsychologe. Die KI mit ein paar Stichworten aus der Stellenbeschreibung füttern und schon eine fertiges Anschreiben? „Ich könnte mir vorstellen, dass da etwas Gutes bei herumkommt.“ Aber: „Personalern rate ich, das Anschreiben heute nicht mehr zu lesen.“ Auch er lese keine Anschreiben mehr. Denn, so der Osnabrücker Hochschulprofessor, knapp Zweitdrittel aller Anschreiben stammen nicht aus der Feder des Bewerbers oder der Bewerberin. Das, worauf es ankommt, sei der Lebenslauf. Aber auch da könne man sehr wenig über die Person herauslesen. „Lücken im Lebenslauf sagen nichts aus“, weiß Kanning. „Auch die Anzahl der Jahre, in denen man gearbeitet hat, sind viel unwichtiger als die Aufgaben, die man in dieser Zeit bearbeitet hat.“ Denn bei einem monotonen Job mit immer gleichen Aufgaben gebe es nichts mehr zu lernen. Deshalb sollten sich Entscheiderinnen und Entscheider bei der Einstellung auch immer fragen: Könnte die Person bei uns profitieren?

Bewerbungsgespräch mit einer KI

Vor allem weil es immer weniger gut qualifizierte Menschen gebe, wäre es falsch „streng über Mappen“ zu schauen. Es gelte eher, „immer einen mehr als einen zu wenig einzuladen“. Wenn dann die Einladung ins E-Mail-Postfach flattert, ist die Freude zunächst groß. Im oftmals digitalen Bewerbungsgespräch selbst sitzt dann mittlerweile nicht mehr zwangsläufig ein Mensch vor dem Bildschirm, sondern eine KI unterhält sich mit dem Bewerber oder der Bewerberin. Dabei überwiegen für Kanning vor allem die Probleme. „Die Fragen sind bei dem Gespräch prinzipiell egal, es geht nur darum, dass die Person 15 Minuten spricht.“ Daran werde dann etwa ausgewertet, wie oft und welche Pronomen die Person verwendet, wie lang die Sätze sind oder ob sie viele Füllwörter nutzt. Dabei stellt sich aber die Frage: Spiegelt sich in der Sprache des Menschen seine Persönlichkeit?

Kritikpunkte an personellen Auswahlgesprächen gibt es einige: So werden gutaussehende Bewerber bevorzugt, große und kräftige Personen eher als Führungspersönlichkeiten wahrgenommen oder sogar ein „von“ im Namen bringe gewisse Vorteile mit sich. KI soll deshalb objektiver sein, weil sie keine Sympathie oder Vorurteile hat. Ein Experiment von Report München, bei dem auch Kanning als Experte fungierte, zeigt: „Die Software macht genau die gleichen Fehler wie die Durchschnittsperson.“ Der Osnabrücker Hochschulprofessor sieht genau dort die Gefahr: „Wenn die Technologie akzeptiert wird, weil sie von vielen Unternehmen genutzt wird, und gar nicht mehr hinterfragt wird, manifestieren sich allgemeine Fehler.“ Und die Forschung zeige auch bisher: „KI beim Bewerbungsgespräch kommt bei Bewerben schlecht an – bei allen Altersgruppen. Dadurch geht die Akzeptanz für KI noch mehr in den Keller.“ Deshalb spreche bislang nichts für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bewerbungsprozess.

Mit Prof. Dr. Uwe Kanning haben wir bereits in einem ersten Artikel über Pseudo-Coaches und deren teils perfide Maschen gesprochen.


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Jasmin Schulte
Jasmin Schulte
Jasmin Schulte begann im März 2018 als Redakteurin für die Hasepost. Nach ihrem Studium der Germanistik und der Politikwissenschaft an der Universität Vechta absolvierte sie ein Volontariat bei der Hochschule Osnabrück. Weitere Stationen führten sie zu Tätigkeiten bei einer lokalen Werbeagentur und einem anderen Osnabrücker Verlag. Seit März 2022 ist Jasmin Schulte zurück bei der HASEPOST und leitet nun unsere Redaktion. Privat ist Jasmin Schulte als Übungsleiterin tätig, bloggt über Literatur und arbeitet an ihrem ersten eigenen Roman.

  

   

 

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