Als am 23. Juni 2009 um 11:35 Uhr ein schwarzes Mercedes CLK-Cabriolet als letztes von Karmann in Osnabrück gefertigtes Fahrzeug vom Band im Osnabrücker Fledder lief, war eine mehr als 100jährige Geschichte besiegelt.
Nach dem Liebes- und vor allem Auftragsentzug des einst überaus eng verbundenen Volkswagen-Konzerns, hatte auch der zwischenzeitlich für neuen Schwung sorgende Kunde Daimler keine weiteren Aufträge mehr für die Osnabrücker Fahrzeugmanufaktur.
Was seinerzeit wie die kurzfristige Folge der Wirtschaftskrise und die Rache der Familie Piëch/Porsche, für einen unnötig vom Karmann-Manager Rainer Thieme vom Zaun gebrochenen Rechtsstreit aussah, wurde womöglich bei den Hinterzimmer-Treffen der „5er Kreise“ ausgekungelt, über die das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe exklusiv berichtet.
Volkswagen und Daimler zeigten sich selbst an
Ausgerechnet Volkswagen und Daimler, die durch Entzug von Aufträgen – im Falle Volkswagen auch durch in Aussicht gestellte aber nie vergebene neue Produktionsvergaben – dem Osnabrücker Karmann-Werk den Todesstoß gaben, haben durch Selbstanzeige die nun laufenden Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Kartellbehörde in Gang gebracht.
Dem Vernehmen nach erhoffen sich die beiden ehemaligen Kartell-Verschwörer durch die Selbstanzeige eine strafmildernde Wirkung. Blöd nur, dass die Selbstanzeigen parallel und voneinander unabhängig erfolgten. Der Eingangsstempel der jeweiligen Staatsanwaltschaft wird darüber entscheiden, ob Stuttgart oder Wolfsburg mit mildernden Umständen davonkommen. Für das Unternehmen, das die Selbstanzeige zu spät abgeschickt hat, droht eine milliardenschwere Strafe. BMW wird auf jeden Fall mit einer Strafe rechnen müssen. Und sollte VW mit der eigenen Selbstanzeige schneller als Daimler gewesen sein, ist noch lange nicht klar, ob die Konzernschwestern Audi und Porsche mit der Anzeige durch die Wolfsburger Zentrale auch „aus dem Schneider“ sind.
Sicher ist aber: Mehr als 1.000 Karmann-Mitarbeiter verloren 2009 ihre Jobs – womöglich auch in Folge der Kartellabsprachen.
Es ging nicht mehr um „das beste Verdeck“
Der Spiegel beschreibt das Vorgehen der „5er Kreise“, an denen neben Volkswagen und Mercedes auch BMW, Audi und Porsche beteiligt waren. Die Redakteure wählten ein Beispiel, das exakt auf die damalige Stellung und Abhängigkeit der Firma Karmann im Umfeld der deutschen Automobilhersteller passt.
Der Spiegel: „Daimler, BMW, Audi, Porsche und Volkswagen haben gerade nicht darum gewetteifert, wer seinen Kunden das beste Verdeck anbieten kann. Im Gegenteil: Die Experten der fünf Autohersteller haben sich in vielen Sitzungen abgestimmt. Sie haben beispielsweise festgelegt, bis zu welcher Fahrgeschwindigkeit man in seinem Auto das Verdeck noch öffnen oder schließen kann.“, Etwas weiter im Text wird der Spiegel hinsichtlich der Folgen dieser Kungelei konkreter: „Wenn die fünf deutschen Autohersteller sich darauf verständigen, nur bei einem Unternehmen einzukaufen, haben andere keine Chancen auf Aufträge“.
Nach der Karmann-Pleite wurde der Markt neu verteilt
Im Falle Karmann bedeutete die Konzentration auf einen Hersteller, den „die großen 5“ auch heute bei einer Vielzahl von Cabriodächern beauftragen. Der Gewinner war die Firma Webasto.
Vor dem Hintergrund verschiedener und teils recht kurzfristig entzogener Produktionsaufträge, konnte das süddeutsche Unternehmen Webasto nicht nur Teile der Karmann-Insolvenzmasse übernehmen (USA und Mexiko) sondern auch den sauerländischen Wettbewerber Edscha, dem 2010 ebenfalls plötzlich wichtige Aufträge wegbrachen.
Im Jahr der Karmann-Pleite lief statt einem neuen Golf-Cabriolet, dessen Produktion von Wolfsburg aus eigentlich für Karmann in Aussicht gestellt worden war, im portugiesischen VW-Werk erstmals der Volkswagen EOS vom Band. Hersteller des Klappdach-Systems: Webasto.
Andere Karmann-Töchter und neue Aufträge gingen an den BMW- und Mercedes-Hauslieferanten Magna sowie an das finnische Unternehmen Valmet, das seinerzeit noch eng mit Porsche zusammenarbeitete.
Ziel des Kartells: Konzentration auf wenige Hauslieferanten
Glaubt man den bisherigen Recherchen des Spiegel, waren die fünf großen Automobilhersteller sehr an einer überschaubaren Anzahl von Lieferanten interessiert. Mit dem Verschwinden von Karmann Osnabrück war man diesem Ziel im Bereich der Dachsysteme und der Auftragsfertigung ein Stückchen näher gekommen.