Ein Kommentar von Justus Möser in Sachen Zeitung, 4. Oktober 2016.

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Heute vor 250 Jahren haben wir Osnabrücker ein bißchen was zu feiern gehabt – heute ist dieses Jubiläum beinahe untergegangen.
Ich habe mich seinerzeit dazu entschlossen, die „Wöchentlichen Osnabrückischen Anzeigen“ herauszugeben. Das war das erste regelmäßig erscheinende Massenmedium in der Hasemetropole.

Seitdem hat sich hier einiges getan, aber jener 4. Oktober 1766 war der Anfang von alldem, was das publizistische Leben in Osnabrück bis heute prägt und auszeichnet. Meine Tochter Jenny von Voigts hat seinerzeit dankenswerterweise eine Reihe von Aufsätzen, die unter dem Zusatz „Nützliche Beylagen“ in den „Osnabrückischen Anzeigen“ erschienen sind, in diversen Büchern zusammengefaßt und als „Patriotische Phantasien“ dem Publikum im ganzen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zugänglich gemacht. So wird dieses Stück Osnabrücker Zeitungsgeschichte auch heute noch wertgeschätzt und kann vielleicht sogar als Parabel auf aktuelle Zu- und Mißstände im Staate verstanden werden. Ich habe seinerzeit mal geschrieben: „Die Leser dieser Phantasien müssen sich allezeit daran erinnern, daß sie aus wöchentlichen Blättern erwachsen sind, welche in einem kleinen Lande, worin man den Verfasser derselben leicht erriete, zu Beförderung verschiedener politischer Verbesserungen bekanntgemacht wurden. Hier erforderte manches, was man nicht bloß vorschlagen, sondern auch ausführen wollte, eine besondere Schonung der Personen und eine eigne Behandlung der Sachen. Oft nahm ich denjenigen, die sich in ihre eigne Gründe verliebt hatten und sich bloß diesen zu Gefallen einer neuen Einrichtung widersetzten, die Worte aus dem Munde und trug ihre Meinung noch besser vor, als sie solche selbst vorgetragen haben würden; diese beruhigten sich dann entweder mit der ihnen erzeigten Aufmerksamkeit oder verloren etwas von der Liebe zu ihren Meinungen. (…) Ich erinnere dieses, sowohl um das Urteil zu berichtigen, das auswärts von diesen Phantasien gefället ist, als auch um andre geschickten Männer, welche nach dem jetzigen allgemeinen Wunsche das politische Detail im kleinen Staate behandeln sollen, zu warnen, sich durch die Forderungen des großen Publikums nicht verleiten zu lassen, es mit ihrem kleinen zu verderben. Dies ist immer meine erste Sorge und die glückliche Frucht davon mein angenehmster Lohn gewesen.“

„Justus Möser“, von Hugo Bürkner – aus dem Buch Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, Leipzig 1854
250 Jahre Zeitung in Osnabrück

Nun sind die politischen Zustände im Jahr 2016 sicherlich ein wenig anders als vor 250 Jahren. Auch bin ich davon überzeugt, daß man als Vertreter der Presse heute etwas wagemutiger sein darf als in dem strengen Korsett der friderizianischen Ära im 18. Jahrhundert, in dem die deutschen Lande von Preußen dominiert wurden und unliebsame Meinungen nicht sonderlich viel galten bzw. kaum Möglichkeiten hatten, an die Öffentlichkeit zu gelangen. Das ist heute doch wesentlich anders und einfacher, auch wenn es für das traditionelle Zeitungswesen eine Reihe von (hauptsächlich wirtschaftlichen) Problemen mit sich bringt. Ich traue mir deshalb auch keine Prognose zu, wie die Osnabrücker Medienlandschaft in 30 Jahren aussehen wird. Wenn ich mir die Geschwindigkeit anschaue, in der die technischen Entwicklungen mittlerweile vonstatten gehen, dann weiß ich nur eins: mit Sicherheit ganz anders als heute. Ich wünsche mir aber, daß diejenigen, die das Privileg haben, an der Gestaltung der öffentlichen Meinung beteiligt sein zu dürfen, sich ihrer Verantwortung immer bewußt bleiben und dieses Privileg nicht dazu mißbrauchen, bloßes Herrschaftswissen zu verbreiten und vor allem die Meinung der Mächtigen zu teilen und weiterzugeben. Ich wünsche mir ein wenig mehr Meinungsoffenheit und Meinungspluralität in unserem schönen Osnabrück, das sich so selbstbewußt „Die Friedensstadt“ nennt. Liebe Zeitungsmacher, lasst doch auch mal die unbequemen und manchmal auch unschönen Meinungen gelten, gebt ihnen Raum zur Selbstdarstellung, zur Äußerung ihrer in Euren Augen etwas kruden Ansichten. Eine Demokratie lebt von der Ideenvielfalt und von der Möglichkeit, auch abstruse Dinge von sich geben zu dürfen. „Freiheit ist immer zuerst die Freiheit der Andersdenkenden“, sagte die Revolutionärin Rosa Luxemburg einmal so schön. Es wäre doch toll, wenn Ihr Euch dieses Bonmot zu eigen macht und in Euren Medien mehr Raum für öffentliche Diskussionen schafft. Möglicherweise kommen dann auch wieder mehr und vor allem jüngere Leser zu Euch oder Ihr gewinnt die Kunden zurück, die irgendwann den Eindruck gewonnen haben, daß in Euren Medien lediglich vorgefaßte Meinungen einseitig weiterverbreitet werden. Ihr habt in den letzten Jahren einiges dafür getan, dieses böse Vorurteil zu bestätigen.

Das publizistische Leben in dieser Stadt wird nach wie vor von einem Kartell aus zwei renommierten Medienunternehmen bestimmt. Diese Situation läßt sich mit der Zeitungsgeschichte nach Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 und der dadurch erzeugten Aufbruchstimmung erklären, die von cleveren Unternehmern genutzt wurde, um in der aufstrebenden kleinen Großstadt an der Hase und den umliegenden Gemeinden ihre Vormachtstellung im publizistischen Bereich zu zementieren. Auch die dunklen Jahre des Nationalsozialismus konnten trotz aller Schwierigkeiten (vor allem für das Medienhaus Fromm) diese publizistische Vormachtstellung nicht dauerhaft zerstören. Die Nachfahren der Firmengründer, die in jener Zeit auf wirtschaftlichem und publizistischem Feld viel für Osnabrück geleistet haben, profitieren von ihrer Monopolstellung bis heute. In vielen Regionen Deutschlands müssen die Zeitungsverlage ums Überleben kämpfen, die großen Osnabrücker Medienhäuser sind aber entgegen dem Trend in der Lage, ihre Marktstellung auszubauen und kleinere und weit entfernt liegende Zeitungsverlage aufzukaufen. Ob das wirtschaftlich vernünftig ist, wird die Zukunft zeigen. Ich wünsche auf jeden Fall alles Gute, hoffe aber im insgeheimen, daß sich die Osnabrücker Medienlandschaft in den nächsten Jahren noch ein wenig mehr diversifizieren wird. Es würde den Bürgern gut tun.

Nun ja, ich habe mich vor 250 Jahren ebenfalls gefreut, in Osnabrück ein Monopol auf die öffentliche Meinung gehabt zu haben. Damals war das mit Sicherheit einfacher als heute, wo jeder vermeintliche Gedankenblitz in Windeseile in den unendlichen Weiten des Internets verbreitet wird. Ich werde heute abend zum Jubiläum mal wieder ein leckeres Osnabrücker Pils zu mir nehmen und zurückdenken an das Jahr 1766. Es war nicht alles schlecht, zumindest wurde meine Zeitung nie als „Lügenpresse“ verunglimpft. Die Leute waren seinerzeit froh, wenn sie sich informieren konnten, da wurde kaum hinterfragt und schon gar nicht in Frage gestellt. Für mich waren das herrliche Zeiten, die ich mir bei der Lektüre manch menschenverachtender und dummer Dinge, die heute als Publizistik verkauft werden, manchmal sogar zurückwünsche.

Vielleicht bin ich mit meiner Feierlaune ja nicht ganz alleine, vielleicht begeht der ein oder andere Osnabrücker heute mit mir dieses kleine Jubiläum. Leider geht es geht im hektischen Medienalltag ein wenig unter. Dabei war es der Anfang von allem, was wir zur Zeit an Massenkommunikation in Osnabrück haben. Auch wenn das die ein oder anderen Zeitungsmacher nicht so recht wahrhaben wollen. Prösterchen!

Mit festlichen Grüßen

Ihr Justus Möser

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